Architektonische Wiedergeburt der Schwarzen Stadt

Architektonische Wiedergeburt der Schwarzen Stadt

Ein Rückblick auf den Vortrag „Ostrava – Dolní Vítkovice: Lebendige Stadt aus industriellem Teig“ des tschechischen Architekten Josef Pleskots im Rahmen der Ausstellung „Industrial Topography – The Architecture of Conversion“ an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg.

Schwarz wie das ehemalige Eisenwerk, rot wie das Feuer und gelb wie die Sicherheitshinweise – diese Farben dominieren das umgestaltete Areal des alten Vítkovicer Eisenwerks im Herzen Ostravas. Ostrava – die „schwarze Stadt“ tief im Osten der Tschechischen Republik, die auch heute noch für ihre Schwerindustrie bekannt ist und deren Luft deutlich verschmutzter ist als in weiten Teilen Europas. Das Stadtbild ist geprägt von riesigen Industriebauten, tausend sich windenden Rohren und zahlreichen Schloten, die nach dem Beginn der industriellen Revolution 1828 entstanden sind.

Heute, fast 190 Jahre später, sehen wir uns mit den Überbleibseln der vergangenen Ära konfrontiert und müssen uns fragen, wie es denn weitergeht, wenn die Werke plötzlich nicht mehr rentabel sind, geschlossen werden und die jahrzehntelange Geschäftigkeit aus den Industriebauten weicht.

Die Schließung des Vítkovicer Eisenwerks 1998 hinterließ in Ostrava eine riesige, ungenutzte Brachfläche inmitten der Stadt. Man kann von Glück sprechen, dass der Komplex 2004 von Jan Světlík, Industrieller, doch vor allem Visionär, aufgekauft wurde, der in dem Eisenwerk vielmehr als eine verlassene Industrieruine sah – nämlich einen Ort, der durch Kreativität, Ideenreichtum und Kunstverständnis zu einem Zentrum des gesellschaftlichen Lebens umgestaltet werden kann.

Josef Pleskot

Welch ein vielschichtiger Prozess hinter dieser Umgestaltung steckte, verdeutlichte Josef Pleskot, einer der derzeit bedeutendsten tschechischen Architekten, durch Skizzen, Modelle und Fotografien in seinem Vortrag „Ostrava – Dolní Vítkovice: Lebendige Stadt aus industriellem Teig“ am 4. April an der OTH Regensburg. Bereits seit acht Jahren arbeitet Pleskot an der Umgestaltung des Areals. Vieles wurde bisher erreicht, vieles wird auch noch folgen. Von Beginn an hatte Pleskot mit seiner Arbeit ein Ziel vor Auge: das Eisenwerk nicht in seiner alten Form zu konservieren, sondern das Areal für alle zu öffnen und es in das lebendige Umfeld der Stadt zu integrieren. Und das ist ihm durchaus gelungen!

© Galerie Jaroslav Fragner, Forschungszentrum für das Industrielle Erbe FA TTU Prag

Alte Industriebauten wirken mächtig, imposant, kalt, wenn nicht sogar angsteinflößend. Pleskots Umbauarbeiten bewirkten jedoch, dass das Eisenwerk in Dolní Vítkovice heute ein beliebter Treffpunkt der Bevölkerung ist, der nicht durch seine kalte Schönheit fasziniert, sondern durch seine Lebendigkeit besticht. Anstelle von Hitze, Schmutz und Lärm assoziiert man heute mit dem Werk Kultur, Freizeit und Bildung. Das Herzstück ist das Gasometer, das neben Konferenz- und Ausstellungsräumen ein großes Auditorium beherbergt, indem bis zu 1500 Besucher Platz finden. Trotz der innovativen Innengestaltung blieb die äußere Hülle des Gasometers unberührt. Auch der alte Hochofen wurde umgestaltet und anstelle der großen Flamme, die bis 1998 Tag und Nacht über dem Eisenwerk brannte, entstand ein spielerischer Aufsatz, der an die Flamme erinnern soll. Im Inneren befindet sich ein Café mit einer imposanten Aussicht auf das gesamte Areal.

Besonders außergewöhnlich sind zwei riesige Hallen, die früher als energetische Zentrale dienten. Diese wurden äußerlich zwar kaum verändert, im Inneren entstand aber ein riesiger, leerer Raum. Platzverschwendung? Kein bisschen. Die Idee, einen großen Marktplatz zu schaffen, der überdacht ist und von allen Bürgern benutzt werden kann, fasziniert. So lädt die riesige Fläche zum Skaten, Inliner fahren, Picknicken usw. ein – egal ob bei Regen oder Sonnenschein.

© Galerie Jaroslav Fragner, Forschungszentrum für das Industrielle Erbe FA TTU Prag

Schwarz, rot, gelb – die „schwarze Stadt“ Ostrava wird bunter. Und das nicht nur dank der Ästhetik der architektonischen Umgestaltung, sondern durch deren Einfluss auf das kulturelle Leben und auf die gesellschaftliche Entwicklung in Ostrava.

All diejenige, die Lust darauf bekommen haben, andere Beispiele der Architektur der Konversion kennenzulernen, können noch bis zum 10. April in der Halle A der Architektur-Fakultät der OTH Regensburg die Ausstellung „Industrial Topography – The Architecture of Conversion“ besichtigen. Euch erwartet eine repräsentative Auswahl von mehr als 30 umgestalteten Industriebauten in Tschechien aus den Jahren 2005–2015, die auf unterschiedliche Art und Weise umfunktioniert wurden. Und falls nun jemand sogar Lust auf Ostrava bekommen hat – warum nicht hinfahren? Ende Juli findet in Dolní Vítkovice, eingebettet in die beeindruckende Kulisse der Industriebauten, eines der größten tschechischen Musikfestivals „Colours of Ostrava“ statt. Wenn das mal kein Anlass ist!

Autorin: Elly Walch

Materielles im Mittelpunkt

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Schmuck von Zdena Roztočilová bei der Vernissage | Foto: © Tobias Melzer

Ein Rückblick auf die Ausstellung „Purity of Materia – Zeitgenössischer tschechischer Schmuck 2016“, die letztes Jahr im Tschechischen Zentrum München zu sehen war.

Beim Besuch eines archäologischen Museums oder einer Antikensammlung, staunt man oft nur darüber, wie wenig sich Schmuckdesign über die Jahrhunderte hinweg verändert hat. Ob Halskette, Ring oder Brosche, die Grundformen sind im Prinzip gleich, die Techniken noch ähnlich. Das menschliche Bedürfnis, oder zumindest der Wunsch danach, sich mit tragbaren Objekten zu verzieren, geht offensichtlich tief.

Was würde die Nachwelt aber wohl über die Schmuckstücke sagen, die im Rahmen der Ausstellung „Purity of Materia – Zeitgenössischer tschechischer Schmuck 2016“ gezeigt wurden? Weiterlesen

René Spitz: Die Ästhetik der Dinge

Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung Die Ästhetik der Dinge: Junges Design aus Tschechien und Deutschland im Deutschen Sparkassenverlag/DSV Kunstkontor am 27. Oktober 2016
Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt des Honorarkonsulats der Tschechischen Republik und des Tschechischen Zentrums München in Kooperation mit dem Design Cabinet CZ, dem Sparkassenverlag Stuttgart und dem Rat für Formgebung Frankfurt.

Prof. Dr. René Spitz, Professor an der Rheinischen Fachhochschule (RFH) Köln für Designtheorie, Internationales Design und Kommunikation; Designkritiker

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Foto: Oliver Abraham, Köln

Sehr geehrter Professor Ilg,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

Freiheit ist uns ein hohes Gut. Für uns ist nur der Staat legitim, der seinen Bürgern persönliche Freiheit garantiert. Als tatsächlich durchgesetzte Wirklichkeit, alltäglich erlebbar, allseitig spürbar, realisierbar.

Vor fast hundert Jahren, am 28. Oktober 1918, trat die Washingtoner Erklärung in Kraft. Sie bildete die anerkannte Grundlage des damals neuen tschecheslowakischen Staates: Einer freien und demokratischen Republik, deren Presse frei und unabhängig berichten konnte, deren Gerichte frei entscheiden konnten, deren Bürgerinnen und Bürger ihre politischen Gremien auf Zeit wählen und ihren religiösen Glauben frei ausüben durften.  Allgemeines Wahlrecht, Gleichstellung der Frauen, Pressefreiheit, Justizfreiheit, Glaubensfreiheit, Gleichstellung aller ethnischen Zugehörigkeiten: Das sind die Fundamente eines modernen Staates nach unserem Verständnis. Wenn wir heute auf die Nachrichten aus aller Welt, auch aus Europa, blicken, sehen wir, dass diese Rechte in vielen, in zu vielen Staaten entweder in Gefahr sind oder ohnehin unterdrückt werden. Ein ziviler und demokratischer Rechtsstaat mag uns so selbstverständlich sein wie das Internet: Er ist halt einfach da. Nur in seltenen Momenten, wenn wir unsere Komfortzone wegen eines gewaltsamen Einbruchs verlassen, wird schlagartig offenbar, dass es sich um eine Errungenschaft der Moderne handelt, die auch geschützt werden muss. Weiterlesen

Jiří Slíva – Meister des Zeichenhumors

Wer die aktuelle Ausstellung im Tschechischen Zentrum München besucht, wird sich das ein oder andere Schmunzeln nicht verkneifen können. Denn dort sind gerade zahlreiche Grafiken rund um Franz Kafkas Verwandlung und weitere illustre Themen wie Kaffee, Wein oder Sigmund Freud zu sehen, gezeichnet vom tschechischen Cartoonisten, Grafiker und Illustrator Jiří Slíva.

Obwohl es am 6. November den ganzen Tag heftig geregnet hat, sind viele Menschen zur Vernissage gekommen. Vielleicht lag das daran, dass Jiří Slíva in München kein Unbekannter mehr ist. Seine Werke waren hier bereits in zahlreichen Ausstellungen und Galerien zu bewundern, so etwa in der einstigen Galerie der Zeichner von Meisi Grill. Meisi Grill steht hinter dem Projekt, in München eine Komische Pinakothek zu gründen, und ist mit Slíva seit vielen Jahren befreundet. So verwundert es nicht, dass ihre Grußworte zur Eröffnung voller persönlicher Anerkennung für den Künstler waren. Dass sich Slívas Humor nicht nur aufs Zeichnen beschränkt, bewies er, als er im Anschluss zur Gitarre griff und auf Deutsch, Tschechisch und Englisch selbst geschriebene launige Lieder vortrug, die man auf seiner neuen CD „Kup si bicí / Kauf Dir ein Schlagzeug“, aufgenommen mit seinen Jazzfreunden, nachhören kann.

Jiří Slíva - als Musiker bei der Vernissage

Jiří Slíva – als Musiker bei der Vernissage

Grafiker und Musiker zugleich, und beides mit großem Erfolg – bei so viel Einsatz stellt man sich schon die Frage, woher Slíva eigentlich die Inspiration und Kraft dafür nimmt. Seine von Psychiatern bislang unbestätigte Selbstdiagnose sieht in etwa so aus: „Ich bemühe mich einfach, alle meine Ideen in eine Zeichnung, ein Lied oder einen Vers umzusetzen“. Doch woher die Ideen kommen, das verrät er nicht. Weiterlesen

Tschechischer Witz in München

Ein paar Schritte entfernt vom Maxmonument in der Thierschstraße, die sich parallel zur Isar erstreckt, verbirgt sich, direkt neben einem Goldschmiedeatelier, ein kleiner Laden Namens Kubula. Neben Büchern von Petra Hůlová, Milan Kundera oder Jaroslav Hašek in deutscher Übersetzung stehen hier auch vielerlei Holzspielzeuge tschechischer Provenienz. „Die Figuren vom Prager Marionettenbauer Trejtnar finde ich ganz schön, die haben Witz“, beschreibt der Ladenbesitzer Michael Lochar seine Lieblingsartikel. „Es gibt ja einen tschechischen Witz und Trejtnar hat ihn.“

Der Kubula Laden

Der kleine Laden sei ursprünglich als eine Art Begegnungsort entstanden, wo man mit Menschen über Tschechien, über Prag, über Kultur reden könne. Als die Räume neben dem Goldschmiedeatelier seiner Frau 2006 frei wurden, zögerte Lochar nicht lange. „Wir wollten kein Büro haben, irgendwo im ersten Stock, in einem Haus, wo man keinen Kontakt zur Realität, zu den Leuten rundum hat.“ Der Opernregisseur und Verlagspromoter kam mit neun Jahren nach Deutschland, blieb aber, zuerst über seine Familie, später dann professionell eng verbunden mit seiner tschechischen Heimat.

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Göttliches Design aus Tschechien

Auch dieses Jahr stellen tschechische Jungdesigner im Rahmen der Ausstellung „New G(o)ods!“wieder zahlreiche kreative Ideen aus den Bereichen Grafik-, Mode-, Produkt- und Industriedesign im Tschechischen Zentrum München vor.

Nach einer erfolgreichen Präsentation im österreichischen Graz traf die Wanderausstellung New G(o)oods 2013! am 30. September 2014 auch in München ein. Zur Eröffnung im Tschechischen Zentrum München sprach Dr. Corinna Rösner, die Landeskonservatorin der Neuen Sammlung – The International Design Museum Munich und somit ein wichtiger Gast für die Ausstellung. Doch damit nicht genug: Außer ihr kamen zur Vernissage Dr. Angelika Nollert, die Direktorin Der Neuen Sammlung, sowie der Generalkonsul der Tschechischen Republik in München, Milan Čoupek. Auch wenn es draußen regnete, die Atmosphäre im Ausstellungsraum war sonnig. Bei einem Glas guten Weines bestaunten die Gäste die ausgestellten Arbeiten und einfallsreichen Ideen tschechischer Designstudenten/innen.

Bei der Vernissage

Bei der Vernissage, © Josef Majrych

New G(o)ods! ist als Wanderausstellung konzipiert und wird jedes Jahr in den Tschechischen Zentren auf der ganzen Welt gezeigt. Ausgestellt werden Arbeiten von Studenten/innen der Hoch-, Mittel- und Fachhochschulen, die eine mehrstufige Bewertung im Wettbewerb um den Nationalen Preis für studentisches Design erfolgreich durchlaufen haben. Die Ausstellung wurde schon in New York, Wien, München, Graz, Budapest, Bratislava, Bukarest, Sofia, Den Haag und Moskau präsentiert. Weiterlesen

Über Google zur Kunst

Vernissage Hubálek

Bei der Vernissage von „Confidential Reports“

Die Ausstellung „Confidential Reports“ zeigt eine neue Reihe von figuralen Gemälden des tschechischen Malers Jabuk Hubálek.

Wer glaubt, etwas Fotografisches in den Gemälden Jakub Hubáleks zu erkennen, ist sicherlich auf der richtigen Spur. Denn viele seiner Werke sind auf Grundlage von Bildern entstanden, über die der junge Künstler im Internet gestolpert ist: „Ich benutze Google häufig als Inspirationsquelle, da kann man sich das aussuchen, was einem passt“, sagt er dazu.

Seine in schwarz-weiß gehaltenen Gemälde, die zurzeit in der Münchner Projektgalerie MUNIKAT zu sehen sind, haben aber durchaus ein Eigenleben entwickelt und sind weit entfernt von den ursprünglichen Motiven. Oft sieht es so aus, als hätte jemand das Bild mit seinen Fingern berührt, bevor es trocken war, oder versucht, die Gesichter mit einem Radiergummi zu löschen. Schärfe trifft plötzlich auf wirre, verschwommene Umrisse; das Vertraute wird verfremdet.

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Ein Abend mit O. Hamera und dem Geist B. Hrabals

Eröffnung der Ausstellung „Die Grafiken Oldřich Hameras durch die Augen Bohumil Hrabals“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Hrabal inspirierend und inspieriert“, organisiert vom Tschechischen Zentrum München, um den 100. Geburtstag Bohumil Hrabals zu feiern. 

Am lauwarmen Abend des 6. Mai 2014 lud das Tschechische Zentrum München zur Vernissage seiner neuen Ausstellung ein. Anwesend waren sowohl der Grafiker Oldřich Hamera und der Galerist Walter Storms, wie auch die Kunsthistorikerin und Ausstellungskuratorin Eva Čapková.

Doch Eva Čapková befand sich in einer etwas seltsamen Position, denn sie musste ihre Rolle als Kuratorin mit einem anderen teilen, der zwar nicht leibhaftig dabei war, aber dessen Geist stets hervortrat. Die ausgestellten Grafiken wurden nämlich bereits 1975 halboffiziell im Prager Geologischen Institut gezeigt, und die Auswahl reflektiert den persönlichen Geschmack eines engen Bekannten Hameras, des verstorbenen Schriftstellers Bohumil Hrabal. Er war es, der die Werke für die Ausstellung aussuchte und sie dann in einer meisterhaften Laudatio Pocta Barrandovi (dt.: Ehre Barrandov) dem 300-köpfigen Publikum präsentierte.

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Oldřich Hamera erzählt von seinem Werdegang  | (c) Egon Lippert

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